Eine Überblick über einen der besten Aperitive der Welt
Vermouth Time
Vermouth oder auch Wermut nimmt hierzulande eine besondere Stellung unter den alkoholischen Getränken ein. Während nahezu jeder Bartender dieses Produkt, spätestens nach seinem ersten Manhattan Cocktail, ganz genau einzuschätzen weiß, haben die meisten Menschen außerhalb der Barszene kaum eine Ahnung, was Vermouth eigentlich ist. Noch wundersamer wird diese Tatsache, wenn man bedenkt, dass der wohl bekannteste Vertreter dieser Kategorie nahezu jedem ein Begriff ist. Martini - ein Name den jeder schon einmal gehört hat und ein Getränk, welches unzählige Leute auch gerne einmal auf Eis und mit einer Scheibe Zitrone genießen. Martini hat sich über die letzten 130 Jahre eine derartige Dominanz auf dem Weltmarkt aufgebaut, dass dieses Produkt beinahe synonym für seine Kategorie steht. Ähnlich wie Tempo für Taschentücher oder Tesafilm für Klebeband. Allerdings mit dem Unterschied, dass die Leute unabhängig davon tatsächlich wissen, was ein Taschentuch ist. Da beim Begriff Vermouth viele allerdings komplett im Dunkeln tappen, dachten wir uns, dass es an der Zeit ist, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Nachdem wir die grundsätzlichen Fragen einmal abgedeckt haben, nämlich was Vermouth überhaupt ist, woher er stammt und wie Vermouth produziert wird, werden wir uns dem Thema widmen, wie man Vermouth am besten genießt und warum in jeder gut sortierten Hausbar mindestens ein Fläschchen davon stehen sollte. Denn wie eingangs schon angedeutet, ist auch hierzulande die farbenfrohe Welt der Cocktails ohne dieses ganz besondere Produkt nahezu undenkbar. Abgesehen vom Manhattan Cocktail, haben auch weitere, weltbekannte Drinks wie der Martini Cocktail, der Negroni und der Americano eines gemeinsam: Vermouth - eine Zutat, die zur Kultur Italiens so sehr dazugehört wie Pasta und hektischer Stadtverkehr und die ihren Ursprung schon in der Antike vor weit über 5000 Jahren hat.
Aperitif oder Likör - Was ist Vermouth?
Ganz allgemein gesagt ist Vermouth ein verstärkter Wein. “Verstärkt” deshalb, weil dem Wein durch Zugabe von hochprozentigem Neutralalkohol noch ein paar weitere Prozentchen verliehen werden, ähnlich wie das zum Beispiel beim Portwein der Fall ist. Allerdings wird beim Vermouth, anders als beim Portwein, der Neutralalkohol nicht dazu verwendet, um die Gärung vorzeitig zu stoppen. Das mag jetzt erstmal etwas verwirrend klingen, aber das Prinzip ist relativ einfach. Traubenmost wird mit speziellen Hefen angereichert, wodurch er vergärt. So bezeichnet man es, wenn die Hefen den im Traubensaft vorhandenen Zucker in CO² und Alkohol umwandeln. Da Hefen zwar resistente Lebewesen sind, allerdings nicht unbesiegbar, funktioniert dieser Vorgang nur begrenzt. Und zwar bis eine Alkoholkonzentration von etwa 13-14 % erreicht ist. Wird das Medium, in dem sie sich befinden, alkoholischer, so fangen die Hefen allmählich an abzusterben/ zu denaturieren. Die meisten gängigen Rebsorten besitzen einen überschaubaren Zuckergehalt, sodass die Hefen es bis dahin meistens geschafft haben, den Großteil des Zuckers “aufzuessen”. Möchte man nun aber einen sehr süßen Wein haben, so muss man die Hefen davon abhalten, zu viel Zucker zu verputzen. Dies kann man tun, indem man den Alkoholgehalt des Weines durch Zugabe von Neutralalkohol in die Höhe treibt, und die Hefen somit abtötet, bevor die kleinen, gefräßigen Dinger keinen Zucker mehr übrig lassen. Wie bereits erwähnt, ist Portwein das wohl bekannteste Produkt, bei dem man diese Methode verwendet. Eine weitere Methode, um einen süßen Dessertwein zu kreieren, ist natürlich, ganz einfach nachträglich Zucker hinzuzufügen. So wird das auch bei Vermouth gemacht. Wenn man aber Vermouth nun nachträglich süßt, warum wird er dann trotzdem mit Alkohol aufgesprittet? Um den Wein lediglich etwas stärker zu machen? Nun, teilweise ja. Zumindest aus historischer Sicht. Ein höherer Alkoholgehalt macht den Wein länger haltbar, was in einer Zeit ohne vernünftige Kühl- oder Lagersysteme sehr wichtig war. Aber der Hauptgrund ist heutzutage ein anderer, denn Vermouth ist nämlich nicht nur ein verstärkter Wein, sondern zudem noch ein aromatisierter obendrein. Und wie man weiß, lassen sich die Aromen verschiedener Botanicals wunderbar in Neutralalkohol lösen und somit kann man durch hochprozentige Kräuterextrakte dem Wein diverse Aromen viel effektiver hinzufügen, als würde man diese direkt im Wein zu lösen versuchen.
Erste Hinweise, um welche Aromen es sich hier handelt, lassen sich bereits dem Namen des Vermouths entnehmen. Der Name Vermouth stammt vom deutschen Wort “Wermut” ab. Wermut ist also nicht nur die offizielle deutsche Schreibweise, sondern auch die Ursprüngliche. Und genau diese Schreibweise deutet auf einen der Hauptbestandteile von Vermouth hin: Wermutkraut (bot. Artemisia Absinthium). (Um Verwechslungen vorzubeugen, verwenden wir in diesem Artikel die internationale Schreibweise “Vermouth”, damit klar ist, wann wir über ein Getränk und wann wir über Wermutkraut als Pflanze reden.) Wermutkraut oder auch Absinthkraut ist seit der Antike als Heilpflanze bekannt und wie wir später erfahren werden, fing auch die Geschichte des Vermouth mit dieser Pflanze an. Neben Wermutkraut, welches das aromatische Rückgrat dieses Aperitifs darstellt, enthält Vermouth noch einige weitere Botanicals. Am häufigsten sind dabei mediterrane Kräuter wie Rosmarin und Thymian, Schalen von Zitrusfrüchten, verschiedene Gewürze wie Safran, Vanille, Koriandersamen und Fenchelsamen, Wacholderbeeren und Holunderblüten und Wurzeln verschiedener Pflanzen wie Enzian, Angelika und Rhabarber. Diese Botanicals werden also in Neutralalkohol mazeriert und dem Wein zusammen mit Zucker - und etwas natürlichem Karamell (geschmacksneutrales Zuckercouleur), für die richtige Farbe - hinzugefügt.
Fassen wir also zusammen: Vermouth oder auch Wermut ist ein verstärkter Wein, dessen Bestandteile Wein, Zucker, Neutralalkohol, Botanicals und natürliches Karamell sind. Laut EU-Verordnung muss der Alkoholgehalt zwischen 14,5 und 22% liegen, der Zuckergehalt mindestens 30 Gramm pro Liter betragen und der Weinanteil muss dabei mindestens bei 75% liegen. Was die verwendeten Botanicals angeht, so hat man relativ viel Spielraum, allerdings muss Wermutkraut verwendet werden, welches auch aromatisch eine dominante Rolle einnehmen sollte.
Vermouth gibt es mittlerweile in den Sorten Rosso oder Rouge, Bianco oder Blanc, Rosé, Secco oder Dry und Extra Secco beziehungsweise Extra Dry. Geographische Bestimmungen gibt es nicht, sodass Vermouth überall auf der Welt produziert werden darf. Die einzigen Ausnahmen bilden dabei die geschützten Herkunftsbezeichnungen "Vermouth de Chambéry” und “Vermouth di Torino” welche sich auf Wermut aus der südfranzösischen Region Chambéry, beziehungsweise aus der piemontesischen Region um Turin beziehen.
Vermouth de Chambéry & Vermouth di Torino
Reden wir über Vermouth di Torino, so gibt es noch eine Sonderkategorie, die man als “Vermouth Superiore” bezeichnet. Der Zusatz “superiore” ist quasi ein Gütesiegel und lässt sich ausschließlich bei Vermouth di Torino finden. Der Vollständigkeit halber, hier die Kriterien, in denen sich ein Vermouth Superiore von einem “normalen” Vermouth unterscheidet: Der Verwendete Wein muss zu mindestens 50% aus dem Piemont stammen und anders als bei einem Vermouth di Torino, der mindestens 16% Alkohol enthalten muss, sprechen wir beim Superiore sogar von 17%.
Vermouth Superiore
Bittersüße Delikatesse - Wie schmeckt Vermouth?
Lasst uns nun einmal versuchen zu definieren, wie Vermouth überhaupt schmeckt und warum dieser so beliebt ist. Grundsätzlich handelt es sich bei Vermouth um einen sehr “kräutrigen” Wein, meist mit spürbar mediterranem Touch. Abgesehen von den Sorten “Dry” und “Extra Dry” wird diese Aromatik von einer deutlichen Süße begleitet. Klar besitzen auch die trockenen Vermouth-Sorten eine gewisse Süße, allerdings liegt diese bei 5%, respektive 3% Zuckergehalt, oft auf einem niedrigeren Niveau als bei so manchen Spätlesen. Noch dazu wird diese Süße oft durch eine markante Bitternote ausgeglichen, die allen Vermouthsorten anhaftet. Diese Bitternote entsteht durch verschiedene Botanicals, allen voran Wermutkraut. Genau dieses Zusammenspiel aus bitter und süß ist es auch, was den Vermouth so spannend macht und warum er sich auch so fantastisch für das Mixen verschiedenster Cocktails eignet. Vermouth ist quasi schon ein "Cocktail" an sich, der alle wichtigen Elemente eines vernünftigen Drinks in sich vereint.
Von Savoy in die Welt - Die Geschichte des Vermouth
Das Aromatisieren von Weinen kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Schon griechische Philosophen, wie etwa Pythagoras, schreiben mit Kräutern angereicherten Weinen eine heilende Wirkung zu. Natürlich waren die damaligen Techniken weitaus rudimentärer als heutige und auch das aromatische Profil wird nicht allzu toll gewesen sein. Die Botanicals, welche damals entweder direkt in den Wein geworfen wurden oder zusammen mit dem Most fermentiert wurden, dienten schließlich auch nicht dem Genuss. Primär hatten diese Methoden medizinische Zwecke. Es verwundert also auch nicht, dass man zum Aromatisieren der Weine schon früh eine Pflanze verwendete, der man schon seit Beginn der Geschichtsschreibung heilende Eigenschaften zuschreibt: Artemisia Absinthium. Der erste, von dem man weiß, dass er mit Wermut infusionierte Weine in seinen Schriften publik machte, war Hippokrates. Deshalb bezeichnet man diese frühen Wermut-Weine auch als “hippokratische Weine”. Diese hippokratischen Weine verbreiteten sich schnell im gesamten Mittelmeerraum und obwohl man auch in anderen Teilen Europas aromatisierte Weine herstellte, bleibt dies jedoch bis heute auch weiterhin eine eher mediterrane Praxis. Über die Jahre entwickelten sich selbstverständlich auch die Rezepte weiter und es entstanden viele verschiedene Sorten von aromatisierten Weinen. Einer der bedeutendsten war Aqua Vitae. Nicht nur, weil dieser Wein als Vorläufer des heutigen Vermouth zählt, sondern auch, weil er typisch für eine ganz besondere Region war, die auf Vermouth einen so großen Einfluss haben sollte wie kaum eine andere. Es ist belegt, dass die Region um Turin spätestens ab dem 14. Jahrhundert als Hauptproduktionsstätte von Aqua Vitae gilt. Das lag unter anderem an der einzigartigen, geographischen Lage der Stadt. Was heute wie damals weitestgehend als selbstverständlich gilt, ist, dass der Piemont zu den bekanntesten Weinanbaugebieten der Welt gehört. Allerdings kann sich auch die weitere Flora der Region durchaus sehen lassen. Die meisten für Vermouth relevanten Kräuter wachsen dort im Überfluss, vor allem Wermutkraut. Unter diesen Voraussetzungen scheint es nahezu logisch, dass Turin einmal das Epizentrum der Vermouth Herstellung werden sollte. Bis dahin sollte allerdings noch etwas Zeit vergehen. Mitte des 16. Jahrhunderts waren aromatisierte Weine eine in ganz Europa gängige Medizin und wie man weiß, hat jeder seine eigenen Hausrezepte. Das war hier nicht anders. Während die Turiner Aqua Vitae produzierten, verwendeten die Bewohner der Toskana eher Enzianwurzel als Bitterstoff anstelle von Wermutkraut. Wo man allerdings wieder auf Artemisia Absinthium setzte, war in Deutschland und Ungarn. Allerdings mit dem Unterschied, dass man in diesen Ländern eher dazu tendierte, die Kräuter zusammen mit den Trauben zu fermentieren, als sie dem fertigen Wein nachträglich hinzuzufügen. So kochten alle mehr oder weniger ihr eigenes Süppchen und es sollte noch ein paar hundert Jahre dauern, bis der Vermouth aus Turin sämtliche anderen Produkte mehr und mehr überschatten sollte.
So richtig ging es dann Mitte des 18. Jahrhunderts los. Maßgeblich verantwortlich für unser heutiges Verständnis von Vermouth war ein Mann namens Antonio Benedetto Carpano. Er erfand den Vermouth in seiner heutigen Form zwar höchstwahrscheinlich nicht, war aber definitiv für die Namensgebung und somit feste Kategorisierung verantwortlich. Carpano produzierte Vermouth im großen Stil und verwandelte ihn von einem rein medizinischen Produkt zu einem Genussprodukt. Die Produktionsweise ähnelte mittlerweile auch insofern der heutigen, als dass Vermouth nun mithilfe hochprozentiger Kräutermazerate aromatisiert wurde, anstelle der direkten Zugabe der Botanicals. Auch wurden nun mehr und mehr rote Weine aus der Piemont-Region verwendet. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde nämlich ausschließlich weißer Wein verwendet, meistens aus dem Süden Italiens. Dieser Brauch stammte aus einer Zeit, in der man sagte, dass weißer Wein qualitativ deutlich minderwertiger sei als roter und man allgemein die Meinung vertrat, dass Rotwein für die Vermouthproduktion zu “schade” sei. Es war Carpano, welcher sich dafür einsetzte, ausschließlich hochwertige Rohstoffe für die Herstellung von Vermouth zu verwenden. Allerdings ist es bis heute eine gängige Praxis, weißen Wein auch für die Herstellung von rotem Vermouth zu verwenden. Die Farbe stammt bei sehr vielen Produkten allein von einer Kombination aus bestimmten Botanicals und natürlichem Karamell.
Carpano schaffte es, seine Produkte am königlichen Hof von Savoy extrem populär zu machen. Das Königreich von Savoy erstreckte sich damals von Freiburg im Norden bis nach Nizza im Süden und von West nach Ost von Lyon bis Asti. Die damalige Hauptstadt war Turin. Als der königliche Hof das immense kulturelle Potential der Region schützen wollte, wurden steuerliche Vergünstigungen erlassen und eine Freihandelszone für den Vertrieb und die Herstellung von Likören und aromatisierten Weinen errichtet, die auch die Vermouthproduktion florieren ließen und somit Turin als Zentrum der Vermouthproduktion festigte. Als offizieller Hoflieferant und mittlerweile Aushängeschild für piemontesische Getränkekultur war dies zum großen Teil auch ein Mitverdienst von Carpano.
Carpano Vermouth
Als sich das Königreich Savoy weiter ausdehnte, beeinflussten Traditionen und Bräuche natürlich auch die angrenzenden Länder. So schwappte auch die Vermouthproduktion nach piemontesischem Vorbild in angrenzende Regionen, vor allem nach Frankreich über. Eines der französischen Epizentren der Vermouthproduktion sollte Chambéry werden, welches um 1800 selbst noch Teil von Savoy war.
Die Vermouthszene im Süden Frankreichs wuchs rasch. Allerdings gab es einige bedeutende Unterschiede in der Herangehensweise. Französische Vermouths waren meist weiß und um einiges trockener als Italienische. Die Methoden der Herstellung blieben aber ähnlich. Eine interessante Besonderheit französischer Vermouths war die Wahl des Zuckers. Während man in Italien meist Rübenzucker und später dann Rohrzucker zum Süßen der Weine verwendete, kommt in Frankreich bis heute oft ein Süßwein wie zum Beispiel Mistel zum Einsatz. Das trägt dazu bei, dass französische Vermouths trotz ihrer vergleichsweise eher filigranen Natur ein gewisses Maß an Komplexität bewahren. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Frankreich somit seinen ganz eigenen Vermouth Stil etablierte, erblickten auch die bedeutendsten Vermouth-Marken des Landes das Licht der Welt. Allen voran Noilly Prat, welche bis heute die größte französische Vermouthmarke ist und Dolin, welche bald als Aushängeschild von Chambéry zählen sollte und Vermouth aus der Gegend später auch zu seiner geschützten Herkunftsbezeichnung verhelfen sollte.
Noilly Prat
Die Italiener wiederum verfolgten mittlerweile ganz andere Ziele. Vermouth war in Savoy und dem Rest Italiens so berühmt geworden, dass es in manchen Teilen des Landes sogar die sogenannte Vermouth-Time gab. Das kann man sich als Mischung aus Happy Hour und Aperitivo vorstellen. Eine gewisse Stunde am Tag, kurz nachdem die meisten Leute allmählich Feierabend machten, traf man sich in Bars und an öffentlichen Plätzen und genoss zum Aperitif gemeinsam ein Gläschen Vermouth. Die Italiener schätzten ihr Produkt sehr und so entschloss man sich, auch den Rest der Welt davon überzeugen zu wollen. 1838 wurde mit der Marke “Cora” erstmals Vermouth nach Südamerika exportiert. Der Kontinent wurde rasch einer der wichtigsten Absatzmärkte für Vermouth. Europa hatte man sowieso schon von Turiner Vermouth überzeugt und so wurde dieser Aperitif bald das wichtigste Exportprodukt Savoys. Aber auch die Franzosen zogen rasch nach und so wurde 1853 mit Noilly Prat auch der erste französische Vermouth über den Atlantik und bis in die USA exportiert.
Um das Jahr 1900 entstand dann der etwas sanftere Vermouth Bianco. Dominierten bis dato noch Marken wie Carpano und Cora den italienischen Vermouth-Markt, so traten nun zwei Marken auf den Plan, die vor allem dem Vermouth Bianco ihren blitzschnellen Aufstieg verdankten: Cinzano und Martini. Klar gibt es beide Marken schon deutlich länger, aber mit Beginn des 20. Jahrhunderts sollten die Unternehmen einen Pfad beschreiten, der sie bald an die absolute Spitze bringen sollte. Der sanft-liebliche Charakter von Bianco-Vermouths machte ihn sehr zugänglich für die breite Masse. Mit einem vergleichbaren Zuckergehalt wie Vermouth Rosso, aber deutlich weniger bitteren Noten, erschloss man sich eine komplett neue Zielgruppe. Nachdem in Anlehnung an den französischen Vermouthstil bald auch die Sorten Secco und Extra Secco entstanden, wurde Vermouth zu einem extrem vielseitigen Produkt. Deswegen fasste er auch vor allem in der Barszene schnell Fuß. Es gab beinahe für jeden Drink die passende Sorte Vermouth.
Martini
Vermouth im 20. Jahrhundert - ein kulturelles Erbgut in der Krise
Wenn man sich die Geschichte von Vermouth ansieht, dann bleibt am Ende jedoch eine Frage: Was ist passiert, dass Vermouth heutzutage kaum noch jemandem ein Begriff ist? Nun, dafür gibt es mehrere Gründe. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in Italien ein Gesetz erlassen, welches es verbot, Wein und Vermouth oder Liköre unter einem Dach zu produzieren. Das Gesetz diente dem Verbraucherschutz. Additive wie Zucker oder Zuckercouleur, die bei der Weinproduktion strengstens untersagt waren, konnten bis dahin von Produzenten bezogen werden, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, sofern das Unternehmen auch Vermouth produzierte. Durch dieses Gesetz sollte sichergestellt werden, dass keiner seinem Wein unbemerkt Zucker oder Farbstoff zusetzen konnte. Das bedeutete aber auch, dass die Unternehmen sich zwischen Wein- und Vermouthproduktion entscheiden mussten. Viele entschieden sich für Erstere. Dadurch gab es auf einen Schlag deutlich weniger Angebot auf dem Markt.
Einen weiteren Schlag erlitt die Vermouth-Szene mit Beginn der Disco-Ära in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vermouth war einfach nicht mehr im Trend. Er wurde als “alte-Leute-Getränk” angesehen, ähnlich wie das heutzutage mit Sherry und Cognac der Fall ist. Damals wollten die Leute bunte Cocktails mit viel Saft, quietschigen Likören, oder lediglich ein Bier. Auch war die Cocktail-Avantgarde längst nicht mehr so auf klassische Drinks aus der Vor-Prohibitionszeit fixiert, in denen Vermouth eine extrem dominante Rolle spielte. Das führte dazu, dass Vermouth mehr und mehr von der Bildfläche verschwand und erst Anfang des 21. Jahrhunderts in der gehobenen Barszene wieder prominenter werden sollte.
Wie trinkt man Vermouth?
Vermouth ist ein extrem vielseitiges Getränk. Deshalb sind auch die Möglichkeiten, wie er genossen werden kann, sehr vielfältig. Ursprünglich wurde Vermouth natürlich pur getrunken. Und gerade bei den traditionellen italienischen Sorten bietet sich das auch an. Ein gekühltes Gläschen klassischer, roter Vermouth funktioniert als Aperitif oder Digestif ausgezeichnet. Auch begleitend zu Speisen wie Käseplatten oder verschiedenen Antipasti-Variationen eignet er sich sehr gut. Ein Bianco Vermouth ist gerade im Sommer ein fantastisches Getränk, serviert man ihn auf Eis und mit einer Scheibe Zitrone. Auch für Spritzvarianten eignet sich ein Vermouth Bianco oder Blanc, aber auch ein Rosè hervorragend. Wer einen erfrischenden Longdrink haben möchte, der kann auch gerne einmal einen Vermouth Soda oder Vermouth Tonic probieren. Diese Art Vermouth zu trinken funktioniert mit allen Sorten, wobei gerade Dry und Extra Dry zusammen mit Tonic Water eine hervorragende Figur abgeben. Und dann wäre da natürlich noch der heutzutage prominenteste Zweck, Vermouth zu verwenden. In Cocktails.
Manhattan, Negroni und Co - Vermouth an der Bar
Als die klassische Barszene um die Jahrtausendwende eine Renaissance erlebte, brachte das auch den Vermouth wieder vermehrt auf den Plan. Vermouthproduzenten, die sich seit über einem halben Jahrhundert für das Bewahren dieses besonderen Aperitifs einsetzten, bekamen nun auch vermehrt von der internationalen Barszene Rückenwind und so geschah es im Jahr 2017, dass Vermouth aus Turin unter dem Begriff “Vermouth di Torino” endlich eine geschützte Herkunftsbezeichnung bekam. Dadurch wurde sichergestellt, dass Vermouth in seiner ursprünglichen Form uns auch weiterhin erhalten bleibt. Und das ist nicht nur generell eine gute Sache, sondern vor allem für die Barszene besonders wichtig.
Anfang des 20. Jahrhunderts war Vermouth in der Barszene der USA extrem populär. Da es eben genau jene amerikanische Barszene war, die zu dieser Zeit alle anderen beeinflusste wie keine andere, verschaffte das Vermouth natürlich auch international einen besonderen Stellenwert. In frühen Cocktailbüchern unterscheidet man zwischen Italian Vermouth und French Vermouth. Dabei bezeichnete man die süßen, roten Sorten als “Italian” und die trockenen, weißen als “French”. Der erste richtig große Vermouthcocktail war der Manhattan. Er diente als Blaupause für zahllose weitere Drinks. Zum Beispiel für den Boulevardier, der eine europäische Interpretation des Manhattans ist und anstatt Cocktail Bitters auf einen klassischen, italienischen Bitter setzt. Damit war auch die Blaupause für den Negroni geschrieben, der heutzutage wohl zu den bekanntesten Cocktails mit Vermouth zählt. In diesem Falle wurde der Whiskey durch Gin ersetzt. Die amerikanische, Gin-basierte Manhattan Variation wiederum hört auf den Namen Martinez. Diesem wurden neben seiner Gin-Basis noch ein paar Spritzer Maraschino Kirschlikör hinzugefügt.
Manche werden es nun wahrscheinlich schon am Namen erkennen. Der Martinez war nicht nur der Vorfahre eines der berühmtesten Vermouthcocktails, sondern des wahrscheinlich berüchtigtsten Cocktails überhaupt: dem Martini Cocktail, oder einfach nur Martini. Somit wäre also auch der Ursprung dieses Cocktail-Namens geklärt. Es ist jetzt natürlich ein blöder Zufall, dass der Martini Cocktail Vermouth enthält und ausgerechnet die heutzutage bekannteste Vermouth-Marke den gleichen Namen trägt. Und natürlich kann man auch einen trockenen Vermouth der Marke Martini für einen Martini Cocktail verwenden. Da hören die Verbindungen zwischen Martini und Martini dann aber auch schon auf. Der Martini Cocktail, der meist aus Gin oder Vodka und trockenem Vermouth besteht, sorgte durch diesen Umstand schon für zahllose, peinliche Verwechslungen an den Tresen der Barwelt. Bei der Bestellung eines Martinis passiert es jedem Jungbartender mindestens einmal in seinem Leben, dass dieser vergisst nachzufragen, wie der Gast seinen Martini denn genau trinken möchte. Wenn dieser dann einen sehr kräftigen und trockenen Gin Cocktail serviert bekommt, anstelle eines süßen Vermouth Bianco auf Eis, dann kann das schonmal zu großen Augen führen. Das jedoch nur als kleine Anekdote, denn nach diesem Artikel weißt zumindest Du ganz genau, was Du im Fall der Fälle nun bestellen musst.
Geschrieben von Danny Huggins